Fränkische Nachrichten, 04.04.2019

Die Botschaft stand ganz im Zentrum

Bachs Johannes-Passion in der Schlosskirche begeistert gefeiert
An geballter Dramatik und Intensität kaum noch zu überbieten

Mit einer minutenlang gefeierten, kraftvollen und hochdramatischen Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach setzte der Chor Cappella Nova unter Karl Rathgeber ein Ausrufezeichen.

Reich an Höhepunkten, in historisch-authentischem, so hier noch nicht gehörtem Klanggewand und mit einer fulminanten sängerischen Leistung zu Beginn der Konzertsaison – die Aufführung unter dem neuen Leiter Karl Rathgeber begeisterte.

Es war natürlich an diesem Ort nicht die erste Aufführung von Bachs erster Passionsvertonung, die ursprünglich für die Karfreitagsvesper 1724 in der Leipziger Nicolaikirche komponiert worden war und nach mehreren Umänderungen ihre endgültige Fassung 1749 erhielt. Sie erhielt jedoch ihre spezielle Note und Ausstrahlung durch die Verwendung historischer Barockinstrumente im Begleitorchester.

Ermöglicht wurde dies durch die Beteiligung des Main-Barockorchesters Frankfurt, einem mit seinen insgesamt 19 Instrumentalisten eher kleinen Ensemble, mit Orgel, 13 Streichern und fünf Holzbläsern sparsam besetzt, was ein vergleichsweise karges, durch die Verwendung von fünf unterschiedlichen Instrumententypen bei den Streichern dennoch reich differenziertes Klangbild ergibt, mit geisterhaften Wirkungen in schnellen Passagen, ergänzt durch die hellen oder gedeckten Farben der Holzbläser, die noch nicht über den modulatorischen Reichtum und die Beweglichkeit späterer Instrumente verfügen.

Soviel Kargheit und klangliche Askese wirkt dafür authentisch und gab den Sängerinnen und Sängern, den fünf Solisten und besonders auch dem ziemlich weit vorne postierten Chor Cappella Nova die Chance, mehr als sonst in den Mittelpunkt zu rücken und das musikalische Geschehen zu dominieren.

Und diese Chance wurde in der Schlosskirche genutzt: Noch selten kamen die Chorstimmen sprechender und ausdrucksvoller, vor allem auch textverständlicher und im barocker Manier affektgeladener zum Tragen als in dieser Aufführung der Johannes-Passion – die Botschaft und ihre Ausdeutung standen ganz im Zentrum, alles übrige war auf sie ausgerichtet.

Etwas anders als die nach Matthäus schildert die Johannes-Passion den leidenden Erlöser vor allem im Hinblick auf seine Göttlichkeit und Herrscherberufung, die schon im emphatischen Eingangschor thematisiert wird. Dramatisch zielgerichtet entwickelt sich in rascher Folge der rezitierten Evangeliumsworte, der Choräle, Turba-Chöre und kommentierenden oder betrachtenden Arien das Geschehen bis hin zum Krisenhöhepunkt im zweiten Teil in der über vier Rezitativ- und Chornummern hinweg unvergleichlich gestalteten Auseinandersetzung zwischen Jesus, Pilatus und der aufgehetzten, die Kreuzigung fordernden Menge.

In der Aufführung in der Schlosskirche wurden es Szenen, die im Zusammenwirken von Cappella Nova und Barockorchester an geballter Dramatik und Intensität kaum noch zu überbieten waren: Sei es nun in der Szene, in der die Freilassung des Barrabas gefordert wird, dem zeremoniellen Spott der Kriegsknechte bei der Dornenkrönung, in den stur regelgerechten, fast stumpfsinnigen Fugen „Wir haben ein Gesetz“ und „Wir haben keinen König denn den Kaiser“ - Szenen auch, die durch die Dominanz der menschlichen Stimme, freilich auch durch die ebenso spannungsvoll und leidenschaftlich wie klangfarblich delikat agierenden Instrumentalist(inn)en des Main Barockorchesters unter Konzertmeister Martin Jopp ihre fulminante und manchmal unmittelbar erschreckende Wirkung entfalteten.

Unaufgeregt und souverän

Seinen besonderen Rang als Spezialist für evangelische Kirchenmusik und natürlich Bach-Dirigent zeigte Prof. Karl Rathgeber, seit Oktober 2018 neuer Leiter von Cappella Nova, nicht nur in der unaufgeregt souveränen Art seiner Chor- und Orchesterführung, sondern auch darin, wie er praktisch jede einzelne der insgesamt 40 Nummern individuell ausgestaltete. Dies galt nicht zuletzt auch für die (zumeist recht kurzen) Choräle, die in Tempo, Dynamik, der Fülle von Ausdrucksnuancen nie über einen Kamm geschoren wurden, je nach Textausdeutung mal zaghaft, mal zart und innig, feierlich und glaubensfest oder strahlend festlich gehalten waren, mit größter Eindringlichkeit das gesungene Wort unterstrichen oder ihm häufig auch neue, unerwartete Aspekte abgewannen.

Dazu hatte sich für diese Aufführung ein hochkarätiges Ensemble von Vokalsolisten zusammengefunden: Maria Bernius (Sopran) brillierte mit blitzenden Koloraturen und ausgefeilter Stimmkultur, hatte gelegentlich etwas Mühe, sich im vokal-instrumentalen Terzett ihrer ersten Arie („Ich folge dir gleichfalls“) gegen die zwei begleitenden Flöten zu behaupten, die zweite („Zerfließe mein Herze“) war farblich exquisit, voll zärtlicher Bewegtheit, am anderen Ende des Spektrums gab Bassist Felix Rathgeber einen Christus voll würdevoller Gravität und zwingender herrscherlicher Autorität. An Stelle der sonst üblichen Altistin war dieses Mal für zwei Arien ein männlicher Altus in Person von Christian Rohrbach getreten, der für eines der eindrücklichsten Hörerlebnisse der Aufführung sorgte: Seine starke und reine, instrumental gefärbte Kopfstimme erinnerte in ihrer feierlich gemessenen Bewegung an die Töne einer Glocke oder Glasharmonika, mehr „englisch“ als menschlich und mehr dem Jenseits als dem Diesseits angehörend.

Ganz weltlich dafür der wunderbar warme und füllige Bariton von Johannes Hill in der Rolle des Pilatus, dem er mit wuchtigem Aplomb die typische Aura des Machtmenschen verlieh und in zwei Bassarien mit schlackenlosem Wohllaut und tief empfundener Emotion aufwartete.

Einen wahrhaft imponierenden Auftritt lieferte schließlich Tenor Christian Rathgeber in der tragenden Rolle des Evangelisten: Faszinierend die virtuose Leichtigkeit und Mühelosigkeit seiner Diktion, die rhythmische Ausgefeiltheit seiner Sätze und ganz allgemein die packende stimmliche Präsenz, mit der er auch seine Arien souverän meisterte.

Thomas Hess

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