Fränkische Nachrichten, 16.04.2025

Exzellenter Gesang und Live-Illustrationen von Michael Blümel in Bad Mergentheim

300 Jahre nach der Uraufführung: “Johannes-Passion PLUS” in der Schlosskirche. Ein Leckerbissen nicht nur für Bach-Fans

Dass der Chor Cappella Nova auch große Herausforderungen meistert, ist über die Region hinaus bekannt. Gemeinsam mit dem in Würzburg gegründeten Barockorchester „la strada armónica“, fünf exzellenten jungen Solisten und dem Bad Mergentheimer Grafiker Michael Blümel, der die Aufführung live zeichnend begleitete, präsentierte der Chor die zweite, am Karfreitag vor 300 Jahren uraufgeführte Fassung von Bachs „Johannes-Passion“. Nur selten ist diese Fassung zu hören – ein Leckerbissen nicht nur für Bach-Fans. Um die musikalische Jubiläumsrarität besonders zu würdigen, wagte der Chor das Experiment, die verbalen und musikalischen Aussagen der Johannes-Passion parallel zur Aufführung durch Live-Zeichnungen von Blümel ergänzen zu lassen.

Zwischen Hochaltar und den Reihen der Sängerinnen und Sänger postierte Blümel seine Bögen, Staffelei, Pinsel, Farben und Kreiden. Auf einer dank technischer Unterstützung durch Lothar Lempp von hinten belichteten Großleinwand konnten die Gäste in der Schlosskirche unmittelbar verfolgen, was der Künstler, inspiriert von den Klängen, mit trockenem Kohle- und Rötelstrich, schmalen, fächerartigen und breiten Pinselquasten teilweise aquarellartig, dann wieder mit feinen Tuschelinien überwiegend in Schwarz und Ocker aufs Blatt zeichnete, tropfte, wischte und manchmal regelrecht explodieren ließ.

Auch für Blümel war es eine neue Erfahrung

Nicht nur für Chor und Orchester, auch für Blümel war es eine neue Erfahrung: Zwar hat der Illustrator zahlreicher Bücher schon oft live zu Lesungen an der Staffelei gearbeitet, noch nie aber während eines öffentlichen Konzerts, das nicht nur wie Literatur thematische Vorgaben macht, sondern dem Zeichner auch klare zeitliche Rahmen setzt. Ebenso intensiv wie der Chor unter der Leitung von Esther Witt hatte er sich mit der Thematik auseinandergesetzt, auch während einer Probe im Vorfeld nicht nur gelauscht, sondern auch gezeichnet; und doch packten ihn die durch die fünf externen Solisten Katharina Schneider (Sopran), Lieselotte Fink (Mezzosopran), Marcel Hubner (Tenor), Josua Bernbeck (Bariton) und Emil Greiter (Bassbariton) nochmals um Fülle und Ausdruck bereicherten Klänge, die sich – eigentlich auf die Besucher ausgerichtet – im Altarraum nochmals auf ganz besondere Weise türmten und umeinander schlangen. Insgesamt 13 Bögen, die mindestens noch während der Karwoche in der Schlosskirche ausgestellt bleiben, entstanden während des Konzerts.

Der immer wieder neu ansetzende spannende Zeichenprozess zog die Blicke auf sich, für manchen Konzertgast sogar zu sehr: Einige erlebten den Sog der Bilder als Ablenkung von der Musik. Ob sich das derzeit in Mode kommende Multitasking für Auge und Ohr bei derartigen Werken bewährt, bleibt abzuwarten. Wer sich ausschließlich aufs Gehör konzentrierte, unterbrochen allenfalls durch einen kurzen Blick aufs Libretto, den Chor, einzelne Solisten oder das Orchester, erlebte eine ungeheuer ergreifende, trotz nur minimaler gemeinsamer Probenzeit klanglich bis in die feinste Verästelung ausgearbeitete Passion.

Historische beziehungsweise zeitgenössische Instrumente

Die Begleitung des Chors auf den von „la strada armónica“ genutzten historischen beziehungsweise zeitgenössischen Instrumenten nachempfundenen Streich- und Blasinstrumenten dürfte auch dem Thomaskantor zugesagt haben. Weicher, leiser, hin und wieder durch ganz andere Obertonreihen vom gewohnten Hörerlebnis abweichend verlieh das auf historische Spieltechnik spezialisierte Ensemble der Passion ein ganz eigenes Gepräge. Als echten Glücksgriff erlebte das Publikum den jungen Tenor Marcel Hubner. Seine musikalische Laufbahn startete er als Augsburger Domsingknabe, aktuell studiert er an der Musikhochschule in Würzburg Liedgestaltung. Hubner glänzte nicht nur in den Arien, sondern füllte mit dem Part des Evangelisten auch die schon rein physisch forderndste Rolle grandios aus. Gleichermaßen stark und glockenklar in den Tiefen wie den Höhen und ungeheuer fein moduliert und bis ins Kleinste akzentuiert, schenkte er den Lauschenden ein ergreifendes Passionserlebnis.

Mitten ins Herz griffen die von der aus Miltenberg stammenden Sopranistin Katharina Schneider und der ebenfalls der Würzburger Hochschule für Musik verbundenen Mezzosopranistin Lieselotte Fink. Auch der Bassbariton Emil Greiter, der die Jesusworte interpretierte, ist als Student dieser Hochschule eng verbunden. Absolut überzeugend auch der ebenfalls 24-jährige Bariton Josua Bernbeck, der durch vielfältige internationale Erfahrung bestens für die Petrus- und Pilatus-Passagen und Arien gerüstet war. Aus den Reihen des Chors steuerten Victoria Sommerer (Sopran) und Lukas Kohler (Tenor) die Solopartien der Magd und des Dieners ebenfalls überzeugend bei.

Hoch zufrieden zeigte sich nicht nur das Publikum, das den Künstlern mit lang anhaltendem und immer wieder aufbrandendem Applaus für die großartige Leistung dankte. Auch Chorleiterin Esther Witt, die mit fast tänzerischer Leichtigkeit die Aufführung fein modellierte, kann stolz sein auf die exzellente Gesamtleistung und speziell auf „ihren“ Chor Cappella Nova. Die insgesamt 13 von Michael Blümel während des Konzerts geschaffenen Werke zur Johannes-Passion sind in den kommenden Tagen in der Schlosskirche ausgestellt.

Inge Braune

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